Die FSP kämpft für einen besseren Zugang zu Psychotherapie. Denn die Krankenkassen übernehmen sie unzureichend. Die Geschichten von zwei Betroffenen zeigen die Ungerechtigkeit des derzeitigen Modells auf.
Emma (Name von der Redaktion geändert) ist 45 Jahre alt und arbeitet als kaufmännische Angestellte. Sie lebt mit ihrem Ehemann auf dem Land.
«Seit ich denken kann, leide ich unter heftigen Wutausbrüchen. Sie stehen in Zusammenhang mit Gefühlen von Ungerechtigkeit und Hass gegen Männer, begleitet von starken Schuldgefühlen – manchmal auch von düsteren Gedanken. Es ist mir stets schwergefallen, mich gegen Autoritätspersonen zu behaupten. Meine Ansprüche an mich sind hoch und es fällt mir schwer, auf meine Bedürfnisse zu achten. Was mich verletzlich macht und vor Kurzem ein Burnout sowie verschiedene körperliche Verletzungen zur Folge hatte. Ich wurde als Kind sexuell missbraucht. Die heutigen Symptome sind Nachwirkungen dieses innerfamiliären sexuellen Missbrauchs, von affektiver Gewalt und Vernachlässigung. Mein Hausarzt, der mich seit vielen Jahren behandelt, empfahl mir EMDR-Sitzungen. Er meinte, ich sei die ideale Kandidatin für diese Methode.»
Erste Verbesserungen, erste Ängste
Nach anfänglicher Skepsis entschliesst sich Emma, die Methode auszuprobieren. Um die Finanzierung der Sitzungen abzuklären, wendet sie sich an die Opferhilfe ihrer Region. Nach einem eingehenden Gespräch wird ihr Fall als erstattungsfähig erklärt und Nothilfe gewährt. Zehn psychotherapeutische Sitzungen übernimmt die Opferhilfe, abzüglich dessen, was ihre Zusatzversicherung erstattet.
«Finanziell abgesichert, wandte ich mich an eine selbstständige psychologische Psychotherapeutin, die mir eine Freundin empfohlen hatte. Schnell starteten wir mit den Sitzungen. Zum Glück. Ohne mir dessen bewusst zu sein, litt ich damals bereits an einem Burnout. Die Kompetenzen und die Fähigkeit meiner Therapeutin, mir zuzuhören, waren eine grosse Hilfe. Kurze Zeit später wurde ich wegen Burnouts und Mobbing am Arbeitsplatz von meinem Arzt krankgeschrieben. Es folgte ein Unfall mit langer Rekonvaleszenz. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich neun der zehn der von der Opferhilfe bezahlten Sitzungen absolviert und meine Therapie noch lange nicht abgeschlossen. So stellte meine Therapeutin bei der Opferhilfe einen neuen Erstattungsantrag zusammen mit einem zweiten Bericht von der für mich zuständigen Sozialarbeiterin. Muss ich nun selbst für meine Sitzungen aufkommen? Diese Frage versetzte mich in Panik, zumal ich beruflich vor einer unsicheren Zukunft stand. Es ist nicht meine Schuld, was mir als Kind widerfahren ist. Dennoch werde ich meine Therapie selbst bezahlen müssen, dachte ich. Offiziell war ich nicht als Opfer anerkannt. Ich war empört und entmutigt. Ich stand vor einem Dilemma. Entweder setzte ich die Therapie auf eigene Kosten bei der psychologischen Psychotherapeutin fort, mit der sich eine gute therapeutische Allianz gebildet hatte und wo bereits Verbesserungen zu beobachten waren, oder ich suchte mir einen anderen, delegiert arbeitenden Therapeuten, dessen Behandlung von der Grundversicherung bezahlt würde, und fing wieder bei null an.
Carole Frey
17/12/2021