Eine erste wichtige Erkenntnis dieses Forschungsbereichs besteht darin, dass Personen, die einer Verschwörungstheorie anhängen, auch dazu neigen, anderen Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Der Sozialpsychologe Serge Moscovici bezeichnet dies als
«Verschwörungsmentalität». Dieses Konzept konnte in zahlreichen Untersuchungen empirisch belegt werden, namentlich in einer Studie, die wir 2007 in Zusammenarbeit mit dem Psychologieprofessor Adrian Bangerter in der Schweiz durchgeführt haben.
Forschende identifizierten mehrere kognitive Prozesse beziehungsweise Verzerrungen: Personen, bei denen der Glaube an Verschwörungstheorien am ausgeprägtesten ist, tendieren stark zu Anthropomorphismus, das heisst, sie schreiben Gegenständen und Tieren menschliche Intentionen zu. Zudem wurde in einigen Studien, beispielsweise in den 2011 und 2014 veröffentlichten Arbeiten des Psychologen Viren Swami, eine negative Korrelation zwischen Intelligenz und Verschwörungstheorien festgestellt. Insbesondere eine experimentelle Studie zeigte, dass ein stärkerer Glaube an Verschwörungstheorien mit einer Art intuitivem, nichtrationalem Denken sowie einem geringeren Mass an analytischem Denken und Offenheit einhergeht.
Ein anderer kognitiver Fehler, der zu konspirationistischem Denken führt ist der sogenannte Konjunktions-Effekt. Dabei wird das gleichzeitige Auftreten zweier Ereignisse fälschlicherweise als wahrscheinlicher eingestuft als das Auftreten eines der beiden Ereignisse, was wahrscheinlichkeitstheoretisch betrachtet nicht möglich ist. Als Beispiel im Arbeitsumfeld: (1) «Wegen eines Virus sind die Daten auf Patricks Computer verloren gegangen» und (2) «Die Geschäftsführerin hat Patrick die Projektleitung entzogen». Eine Studie der britischen Forscher Robert Brotherton und Chris French ergab, dass Anhängern von Verschwörungstheorien derartige Denkfehler häufiger unterlaufen als anderen Personen.
Eine weitere Heuristik – eine rasche und intuitive kognitive Operation – im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien ist den Forschungsarbeiten der Psychologen Patrick Leman und Marco Cinnirella zufolge die Neigung, bedeutenden Ereignissen, wie dem Tod von Prinzessin Diana im Jahr 1997, bedeutende Ursachen zuzuschreiben. Beispielsweise eine Verschwörung statt schlicht und einfach Pech als Ursache eines Unfalls zu vermuten.
Individuelle und soziale Faktoren
Auf soziopolitischer Ebene wurde die Verschwörungsmentalität in zahlreichen Forschungsarbeiten mit einem Gefühl der Anomie – einer Mischung aus Misstrauen gegenüber den Behörden, dem Gefühl, keine Kontrolle über sein Leben zu haben, und Unzufriedenheit – sowie mit einer extrem rechten (und manchmal, wenngleich seltener, extrem linken) Gesinnung in Zusammenhang gebracht.
Durch diese Merkmale wird der Glaube an Verschwörungstheorien zu einer spezifischen politischen Haltung, die für gesellschaftliche Randgruppen charakteristisch ist. Ein Beispiel hierfür ist die schwarze Minderheit in den USA, wie die Sozialpsychologin Jennifer Crocker aufzeigte.
Auf Ebene der Persönlichkeit besteht ein Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und bestimmten tendenziell pathologischen Merkmalen wie der Schizotypie – eine Persönlichkeitsstörung, die durch Paranoia (das Gefühl, beobachtet zu werden, dass andere einem etwas verübeln und so weiter) sowie durch eine zur Isolation führende Sozialphobie gekennzeichnet ist und mit wahnhaften Verhaltensweisen und Gedanken einhergeht. Damit verbunden sind abergläubische, magische oder paranormale Überzeugungen, die bei Anhängern von Verschwörungstheorien ebenfalls häufiger zu beob- achten sind.
Im Zusammenhang mit Schizotypie wiesen mehrere Forschende zudem nach, dass bei Personen, die eigenen Angaben zufolge unter bestimmten Formen von Angst leiden, eine stärker ausgeprägte Verschwörungsmentalität zu beobachten ist. Darüber hinaus wurde in der Forschung ein Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und geringem Selbstwertgefühl festgestellt.
Auch auf motivationaler Ebene konnten, insbesondere vom Team des niederländischen Psychologen Jan Willem van Prooijen, bestimmte Zusammenhänge nachgewiesen werden. Die von der Forschungsgruppe befragten Personen tendierten in Situationen der Unsicherheit beziehungsweise fehlender Kontrolle in stärkerem Masse zu Verschwörungstheorien, um wieder das Gefühl zu haben, die Situation zu kontrollieren.
Der französische Wissenschaftler Anthony Lantian und sein Team zeigten 2017 ausserdem, dass das Gefühl einzigartig zu sein, als Katalysator des Glaubens an Verschwörungstheorien fungieren kann: Dabei hat die betreffende Person das Gefühl anders oder sogar der «Schafherde» überlegen zu sein, die die offizielle Version naiv glaubt. Dies könnte auch die Korrelation zwischen geringem Selbstwertgefühl und Verschwörungsglauben erklären.
Was soziale Faktoren angeht, stellten einige Forscherinnen und Forscher einen Zusammenhang zwischen sozialer Identität – dem auf Gruppenzugehörigkeit basierenden Teil unserer Identität – und dem Glauben an Verschwörungstheorien fest. In der muslimischen Gemeinschaft Indonesiens etwa korreliert eine starke Identifikation mit der eigenen Gruppe mit einem stärkeren Glauben an Theorien nach denen sich die USA gegen Musliminnen und Muslime verschwört haben.
Ludovic Ludovic
07/12/2020