Psychotherapie
Mehr als die Hälfte der FSP-Mitglieder verfügt über einen FSP-Fachtitel in Psychotherapie und bietet diese Art von Behandlung an. Das Ziel jeder Psychotherapie ist eine Veränderung in der Lebensgestaltung des Patienten / der Patientin. In erster Linie wird eine Befreiung von oder zumindest eine Reduktion der beeinträchtigenden Symptomatik angestrebt.
Im Verlauf des psychotherapeutischen Prozesses setzt sich der Patient / die Patientin intensiv mit sich und den Faktoren auseinander, die das psychische Leiden verursachen. Dadurch eröffnen sich den Betroffenen neue Möglichkeiten im eigenen Handeln und Erleben. Erfolgreiche Psychotherapie führt zueiner tiefgreifenden Veränderung in derLebensführung. Seelisches Leiden kann dadurch gemindert oder geheilt werden.
Psychotherapie bedeutet immer Arbeit an sich selbst. Der Psychotherapeut / die Psychotherapeutin steuert aufgrund seiner / ihrer Fachkompetenz den psychotherapeutischen Prozess – abgestimmt auf die individuelle Problemstellung und in enger Zusammenarbeit mit dem Patienten / der Patientin. Psychotherapie versteht sich als Anleitung zur Selbsthilfe, die den Patienten / die Patientin befähigt, kommende psychische Krisen besser und wenn möglich ohne professionelle Hilfe zu bewältigen. Die Wirksamkeit von Psychotherapie ist wissenschaftlich nachgewiesen und anerkannt. Was als psychische Krankheit oder Störung gilt, ist in international anerkannten Klassifikationssystemen (z. B. «Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme» ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation WHO) klar festgelegt.
Nicht als Psychotherapie gelten Beratungen bei Problemen, welche als mehr oder weniger belastend oder auch als persönliche Krisen erlebt werden, die jedoch keinen Krankheitswert im Sinne einer psychischen Störung aufweisen, wie zum Beispiel:
- Paarberatung, ohne dass zumindest einer der Partner von einer psychischen Störung betroffen ist
- Erziehungsberatung
- berufliches Coaching
Ebensowenig werden Selbsterfahrung zur beruflichen Qualifikation und Supervision als Psychotherapie angesehen.
Psychische Krankheiten oder körperlich bedingte Krankheiten mit belastenden psychischen Auswirkungen können durch Psychotherapie erfolgreich behandelt beziehungsweise entscheidend beeinflusst werden. Störungen mit Krankheitswert, die durch Psychotherapie wirksam beeinflusst werden können, sind zum Beispiel:
- Depressionen
- Ängste (Panikattacken, Phobien)
- Psychosomatische Störungen (körperliche Erkrankungen, die durch seelische Faktoren beeinflusst werden)
- Zwangserkrankungen, Zwangshandlungen
- Traumata (nach Vergewaltigung, Missbrauch, Unfall)
- Stressbedingte Erkrankungen, Burnout
- Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen
- Abhängigkeiten / Suchtverhalten (Alkohol, Nikotin, Drogen, Tabletten)
- Essstörungen (Bulimie, Magersucht)
- Schwere psychische Störungen (Schizophrenie und schwere affektive Erkrankungen)
- Persönlichkeitsstörungen
- Seelisch bedingte Störungen von körperlichen Funktionen (sexuelle Störungen, Schlafstörungen)
Auch bei der Nachsorge, Rehabilitation und Begleitung von schweren körperlichen oder chronischen Erkrankungen kann Psychotherapie Menschen darin unterstützen, die psychischen Folgen lebensbedrohlicher Erkrankungen zu bewältigen.
Menschen aus allen sozialen Schichten können in jedem Alter und in jeder Lebensphase psychisch erkranken und aus diesem Grund eine Psychotherapie benötigen. Psychische Krisen als Vorläufer psychischer Störungen mit Krankheitswert treten besonders oft auf, wenn es darum geht, die Übergänge zwischen einzelnen Lebensphasen zu bewältigen. Fehlen die nötigen Ressourcen, die sich wandelnden Lebensbedingungen zu meistern, können Symptome entstehen, die eine psychotherapeutische Behandlung notwendig machen.
Ein Fallbeispiel: Herr W. ist 42 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er leidet seit Monaten unter Schwindel, Sehstörungen, Beklemmungsgefühlen in der Herzgegend, Appetitstörungen und massiven Schlafstörungen, die schliesslich zu einer Arbeitsunfähigkeit führen. Eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik steht zur Diskussion. Es wird eine Depression diagnostiziert und Herr W. erhält nebst Medikamenten eine ambulante Psychotherapie verschrieben. In der Therapie erkennt er, dass die Krankheit im Anschluss an eine Umstrukturierung im Betrieb begonnen hat. Mit therapeutischer Unterstützung eines Psychotherapeuten macht er neue Erfahrungen eigener Wirksamkeit bei seiner beruflichen Tätigkeit und in der Familie. Die Gefühle von Überforderung gehen allmählich zurück. Das Arbeitspensum wird schrittweise wieder auf 100% erhöht. Die Medikamente können abgesetzt werden. Die körperlichen Beschwerden verschwinden, einzig die Beklemmung in der Herzgegend taucht manchmal noch auf. Jetzt kann sie Herr W. als Warnzeichen lesen. Die Therapie beinhaltete 25 Sitzungen über ein Jahr verteilt.
Psychotherapie befähigt Menschen, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen und Krisen mit der Zeit ohne professionelle Hilfe zu bewältigen.
Psychotherapeuten/-therapeutinnen arbeiten mit verschiedenen, wissenschaftlich anerkannten Methoden, die wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Die wichtigste Bedingung für eine gelingende Psychotherapie ist nach heutigem Forschungsstand eine gute und vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Therapeuten/der Therapeutin und dem Patienten/der Patientin. Die genaue Art der Behandlungsmethode spielt eine wichtige, vergleichsweise jedoch zweitrangige Rolle.
Das zentrale Arbeitsinstrument bei einer Psychotherapie ist das Gespräch. Sämtliche Aspekte menschlichen Verhaltens und Erlebens sind Gegenstand einer Psychotherapie. Je nach psychotherapeutischer Methode kommen neben kognitiv ausgerichteten Verfahren auch erlebnisorientierte Ansätze wie die Arbeit mit Imaginationstechniken, Bewegung oder andere kreative Gestaltungsmittel zum Einsatz. Ein Psychotherapeut/eine Psychotherapeutin stimmt das Vorgehen auf die individuelle Problemstellung ab und erarbeitet mit dem Patienten/der Patientin massgeschneiderte Lösungen.
Psychotherapie reduziert oder heilt wirksam psychisches Leiden. Erfolgreiche Psychotherapie befähigt die von einer psychischen Krankheit betroffenen Menschen, ihre Autonomie in der Lebensführung ganz oder mindestens teilweise wieder zurückgewinnen.
Psychotherapie
- fördert im Verlaufe einer Behandlung insbesondere die persönliche und soziale Kompetenz.
- erhöht die Arbeits- und Beziehungsfähigkeit.
- steigert die psychische Belastbarkeit.
Auch wirtschaftlich betrachtet ist Psychotherapie zur Bewältigung psychischer Störungen oder körperlicher Krankheiten mit psychischen Folgestörungen eine wirksame und zweckmässige Investition. Rechtzeitig eingesetzte Psychotherapie verhindert effizient und vergleichsweise kostengünstig unnötige wirtschaftliche Folgekosten psychischen Leidens. Die Wirkung von Psychotherapie ist nachhaltig. Sie führt zu dauerhaften Veränderungen, auch nach Abschluss der Behandlung.
Unter dem Aspekt von Kosten / Nutzen führt Psychotherapie zu folgenden positiven Effekten:
- Die subjektive Befindlichkeit wird bedeutsam verbessert.
- Die Leistungsfähigkeit und –bereitschaft des / der behandelten Patienten / Patientin nehmen zu.
- Krankheitsbedingte Arbeitsausfälle werden reduziert.
- Arztbesuche nehmen ab.
- Frühberentungen und IV-Fälle können reduziert oder verhindert werden.
- Soziale Folgekosten (z. B. Auswirkungen auf die Familie) werden vermindert.
Die Dauer einer Psychotherapie orientiert sich an den Fortschritten des Patienten / der Patientin. Nicht behandelte oder unsachgemäss behandelte psychische Störungen können zu chronischen, sich verstärkenden psychischen Leiden und zusätzlichen körperlichen Erkrankungen führen. Diese wiederum führen zu erhöhten Behandlungskosten und zusätzlichen Kosten bei Sozialversicherungen. Rechtzeitige und sachkundige psychotherapeutische Behandlungen helfen nicht nur Kosten einzusparen, sondern auch Leiden von Mitbetroffenen wie Angehörigen zu reduzieren.
Wenn von psychologischer oder ärztlicher Psychotherapie die Rede ist, bezieht sich dies lediglich auf die Grundausbildung des Psychotherapeuten/der Psychotherapeutin und nicht auf unterschiedliche Psychotherapieformen. Es gibt nur eine Psychotherapie.
Es gibt zwei Wege zum Beruf des Psychotherapeuten/der Psychotherapeutin. Der eine Weg führt über ein Psychologiestudium, der andere über ein Medizinstudium; auf beide Grundausbildungen folgt eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten/zur Psychotherapeutin. Für die Behandlung von psychischen Störungen mit Krankheitswert benötigen sowohl Psychologen/Psychologinnen als auch Ärzte/Ärztinnen eine Weiterbildung in Psychotherapie. Die Methoden der Psychotherapie werden von allen Psychotherapeuten/-therapeutinnen gleichermassen angewendet. Die Anwendung der Psychotherapie ist also unabhängig von der psychologischen oder medizinischen Grundausbildung. Es gibt nur eine Psychotherapie.
Vier verschiedene Arbeitsformen
Die psychologischen Psychotherapeut(inn)en sind heute hauptsächlich in vier Arbeitsformen tätig. Je nach Arbeitsform werden die Leistungen unterschiedlich vergütet. Bei psychologischen Psychotherapeut(inn)en kommen häufig kombinierte Arbeitsformen von selbständiger und angestellter Tätigkeit vor.
Selbständige psychologische Psychotherapeut(inn)en sind in eigener Praxis tätig. Eine Abrechnung über die Grundversicherung ist seit dem 1. Juli 2022 möglich. Die Finanzierung erfolgt zudem über Selbstzahlung und im Falle der nicht-ärztlichen Psychotherapie auch über Zusatzversicherungen sowie zu einem kleinen Teil über Unfall- und Militärversicherung, Invalidenversicherung (nur Kinder und Jugendliche), Stiftungen und die öffentliche Hand (z. B. Justiz, Sozialhilfe).
Delegiert arbeitende psychologische Psychotherapeut(inn)en sind Angestellte in einer Arztpraxis. Ihre psychotherapeutischen Leistungen finden unter Aufsicht und in Verantwortung des delegierenden Arztes/der delegierenden Ärztin statt und werden via Arzt/Ärztin anhand des Einzelleistungstarifs TARMED über die Grundversicherung abgerechnet. Der/die angestellte Psychotherapeut(in) erhält einen Lohn, den er/sie mit dem Arzt/der Ärztin ausgehandelt hat.
Psychologisch-psychotherapeutische Leistungen in stationären Institutionen/Kliniken werden über die mit den Krankenkassen vereinbarten Tages- oder Fallpauschalen finanziert. Die in der stationären Institution/Klinik angestellten Psychotherapeut(inn)en erhalten einen vereinbarten Lohn.
Psychologische Psychotherapie in einer ambulanten Institution kann ebenfalls via TARMED abgerechnet werden, wenn es sich um eine medizinisch geleitete Institution handelt. Für die Finanzierung von psychologischpsychotherapeutischen Leistungen, die in einer nichtmedizinisch geleiteten ambulanten Institution erbracht werden, gelten die gleichen Bedingungen wie bei der Arbeitsform selbständige Praxis.