Psychoscope-Blog – «Aacho», das ist «arriver» oder «arrivare»! – Die Gruppentherapie für Mütter & Babies
In der Pilotuntersuchung von Laura Wade-Bohleber, Anina Hofer, Marina Ottiger, Agnes von Wyl, Antonia Stulz und Sandra Rumpel (2022) bieten letztere beide im Rahmen des Vereins «Family Help» mit der neuen, psychoanalytisch orientierten Gruppentherapie «Aacho» rasche Hilfe für Mutter und Kind. Die Studie zeigt auf, wie sich Traumafolge-Erkrankungen bei Müttern mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund in Mutter-Kind-Beziehungen auswirken und die Kindesentwicklung behindern können – und wie heilsam die «Aacho»-Gruppentherapie wirkt. Denn der Behandlungsbedarf ist gross und die Therapiewirkung weitreichend.
Psychische Erkrankungen und ihre Therapie bei Geflüchteten in der Schweiz
Vor Ausbruch der Corona-Epidemie befanden sich knapp 60'000 Menschen, hauptsächlich aus Eritrea, Afghanistan, Türkei, Syrien und Algerien im schweizerischen Asylprozess. Laut internationalen Studien leiden ca. 30 % Geflüchteter an einer Traumafolgestörung oder depressiven Störung. Schweizer Untersuchungen schätzen diesen Anteil sogar auf 50 bis 60 %. Psychotherapiekosten werden gesetzlich von den Krankenkassen übernommen. Psychotherapieerschwernisse entstehen durch hängige Asylentscheide, respektive bei Befürchtungen erneut erzwungener Migration.
Fehlende Behandlungsangebote für Mütter mit Kleinkindern
Geflüchtete Mütter sind durch die Fluchterfahrungen und die Mutterschaft in einem fremden Land mehrfachen Belastungen gleichzeitig ausgesetzt. Diese Mütter können infolge ihrer Traumafolgestörungen oder Depression dem Umsorgen ihrer Kinder nicht hinreichend genügen. Deshalb erleiden ihre Babies und Kleinkinder Entwicklungsverzögerungen, die sich ohne Therapie mit einem negativen Rückkoppelungseffekt in der Mutter-Kind-Beziehung verstärken und behindernd auf ihre gesamte soziale und schulische Reifung auswirken. Die psychische Schädigung und der psychotherapeutische Behandlungsbedarf dieser Kinder mit ihren asylsuchenden Müttern in der Schweiz sind daher doppelt gross.

Die Gruppentherapie «Aacho»
Mit einer Kombination von psychoanalytischen, traumatherapeutischen und bindungstheoretischen Methoden werden in der Gruppentherapie «Aacho» sechs Ziele angestrebt:
- Sozialen und psychischen Rückhalt in der Gruppe finden als Ersatz für die verlorene oder zerstörte familiäre und gesellschaftliche Unterstützung im Herkunftsbezug.
- Wiederherstellung von Beziehungsvertrauen und Beziehungsverlässlichkeit mithilfe des Behandlungsteams.
- Klärung von kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwecks Reduktion von Missverständnissen und Spannungen.
- Die Mutter-Kind-Bindung unterstützen zwecks Stärkung des kindlichen Entwicklungsraums und zur Vermeidung von Überforderungen des Kindes.
- Traumaverarbeitungen im Gruppenaustausch mithilfe des Behandlungsteams.
- Konkrete Unterstützung bei Alltagsfragen.
Therapieerfolg
Wade-Bohleber und ihr Team haben die therapeutische Wirkung der Mutter-Kind-Gruppenbehandlung «Aacho» mit wöchentlich zweistündigen Gruppensitzungen in ihrer Pilotstudie mit sieben Mutter-Kind-Dyaden anhand standardisierter Methoden und teilweise mithilfe von Übersetzern genau untersucht. Untersuchungsinstrumente, Untersuchungsverlauf und Ergebnisse werden detailliert beschrieben und mit einer Fallbeschreibung zu einer Mutter-Kind-Dyade veranschaulicht.
Bei den Müttern zeigte sich unterschiedliche Verläufe, was die Zu- oder Abnahme der Symptome betrifft. Entscheidende psychische Verbesserungen zu Depression, Angst, PTBS und somatischen Symptomen sind jedoch bereits nach 8-monatiger Gruppentherapie im Prä-Post-Vergleich nachweisbar. Erhebliche psychische Erkrankungen der Mütter erschweren die Therapiewirkung. Ausserdem beeinflussen Ungewissheiten zum Asylentscheid die mütterlichen Einschätzungen zusätzlich. Am deutlichsten zeigt sich der Therapieerfolg in den Mutter-Kind-Beziehungen, in denen die Vernachlässigung der Kinder (vgl. von Klitzing 2022) als Folgeerscheinung der psychisch erkrankten Mütter abnimmt.
Gewinn für die Leidtragenden und für uns alle
Die positiven Ergebnisse wären wahrscheinlich noch eklatanter, wenn Vergleichsdaten mit einer Kontrollgruppe ohne Erhalt psychotherapeutischer Hilfestellung erhoben würden. Der Gewinn der psychischen und sozialen Gesundung für diese Mütter mit ihren Kindern und ihren Familien wäre immens. Auch ihre Möglichkeiten der sozialen Integration in der Schweiz wären dadurch verbessert – zum Gewinn für unseren sozialen Zusammenhalt in der Schweiz.
Literatur
Rumpel, S., Stulz-Koller, A., Leuzinger-Bohleber, M., & Hauser Grieco, U. (2022). Weiterleben nach Flucht und Trauma Konzepte für die Arbeit mit besonders vulnerablen Geflüchteten. Giessen: Psychosozial.
von Klitzing, Kai (2022). Vernachlässigung. Betreuung und Therapie von emotional vernachlässigten und misshandelten Kindern. Stuttgart: Klett-Cotta.
Wade-Bohleber, L., Hofer, A., Ottiger, M., von Wyl, A., Stulz, A., Rumpel, S. (2022). «Aacho» - ein niederschwelliges gruppentherapeutisches Angebot für geflüchtete Mütter mit Kleinkindern: Ergebnisse einer evaluativen Pilotstudie. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat., 71, 119-140.
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