Psychoscope-Blog – Das mentale Modell der Klienten verstehen
Mehr als zwei Drittel der Erwerbstätigen in Deutschland wie auch in der Schweiz sind im Bereich der sogenannten „Humandienstleistungen“ beschäftigt – Tendenz steigend. Sie üben betreuende, ausbildende, pflegerische, therapeutische, beratende oder verkaufenden Arbeitstätigkeiten aus. Das Gemeinsame bei diesen heterogenen Tätigkeiten ist die Interaktion mit Klientinnen und Klienten.
Winfried Hacker und Kolleginnen der Universität Dresden zeigen in ihrem Beitrag die Anforderungsbesonderheiten von „dialogisch-interaktiver“ Erwerbsarbeit auf. Die Dienstleister/-innen müssen das mentale Modell der Klienten verstehen und ihr eigenes vermitteln. Es ist notwendig, das Wissen, die Absichten und Bedürfnisse der Interaktionspartner zu erkennen und das eigene Fachwissen verständlich und überzeugend darzulegen. Die Emotionsarbeit beinhaltet das Beeinflussen von Gefühlen der Klient(inn)en („sentimental work“, beispielsweise Reduktion der Angst beim Zahnarzt) und die Regulation eigener Emotionen (z. B. das Unterdrücken von Ärger über unfreundliche Kunden).

Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention
Auch für die dialogisch-interaktive Erwerbsarbeit gilt nach Hacker das Primat der Verhältnisprävention. Hacker beruft sich auf die im deutschen Arbeitsgesetz verankerte Forderung, dass „Gefahren an ihren Quellen zu bekämpfen und individuelle Schutzmassnahmen nachrangig zu anderen Massnahmen sind“. Hacker gibt Beispiele für eine Verbesserung der Arbeitsorganisation. So konnte in einem grossen deutschen Krankenhaus durch eine moderierte Kleingruppenarbeit von Pflegekräften die Stationsorganisation verbessert werden. Die Einführung von ungestörten gemeinsamen Kurzpausen konnte in einer Einrichtung der stationären Altenpflege die Fluktuationsrate senken und somit einer verschärften Unterbesetzung entgegenwirken. Die gemeinsamen Pausen ermöglichten den Pflegenden einen entlastenden Austausch, der sozial unterstützend erlebt wurde. Bei Einzelhandelsbeschäftigten zeigte sich, dass eine Mischung von dialogisch-interaktiven mit warenbezogenen Tätigkeiten positiv erlebt wurde, wenn die Anforderungsvielfalt und Lernanforderungen langsam anstiegen. Das bewährte Konzept der Ganzheitlichkeit/Vollständigkeit von Arbeitstätigkeiten mit ihren vorbereitenden, ausführenden und kontrollierenden Elementen wurde für interaktive Tätigkeiten ausgeweitet („zweidimensionalen Vollständigkeit“).
Präventive Arbeitsgestaltung reicht nicht aus
Leid und Tod von Patienten oder Disziplinverstösse von Schülern sind beanspruchend und können häufig nicht durch präventive Verhältnisgestaltung verhindert werden. Es braucht eine emotionsregulierende Bewältigungsstrategie. Dienstleistende können die Balance verbessern zwischen empathischer Anteilnahme und Abgrenzungsfähigkeit gegenüber den Klient(inn)en. Eine solche als „detached concern“ bezeichnete verhaltenspräventive Strategie ging mit weniger emotionaler Erschöpfung einher und sollte Bestandteil der Berufsausbildung von Humandienstleistern sein. Auszubildenden sollte die präventive Arbeitsgestaltung nicht nur zur Unfallverhütung sondern umfassend für eine menschengerechte Gestaltung von Arbeitssystemen vermittelt werden.
Das Kombinieren von verhältnis- und verhaltenspräventiven Arbeitsgestaltungsmassnahmen, die gleichzeitig den Dienstleister(inne)n und ihren Klient(inn)en dienen, sollte in der Aus- und Weiterbildung zu dialogisch-interaktiven Tätigkeiten besondere Beachtung erhalten.
Studie
Hacker, W., Steputat-Rätze, A., & Pietrzyk, U. (2020). Verhältnis-und verhaltenspräventives Gestalten dialogisch-interaktiver Erwerbsarbeit. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 74(1), 23-33. doi: 10.1007/s41449-020-00187-x
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