Psychoscope-Blog – Die Klimakrise aus der Sicht der Psychoanalyse (Teil 3): Der Dinosaurierkomplex

Miriam Vogel
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Joachim Küchenhoff, Psychoanalytiker der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa) entdeckt in seiner Analyse zum „Klimawandel: Psychoanalytischer Versuch über die „Schwierigkeit, ‚nein‘ zu sagen zur Zerstörung der Zukunft unserer Kinder“ (2023) den „Dinosaurierkomplex“. Was hat es damit auf sich?

Keywords: Klimakrise, Selbstvernichtung, destruktive psychische Mechanismen, interdisziplinäre Wissenschaft, Psychoanalyse

In acht Kapiteln führt Küchenhoff den Leser vorab ein in Klaus Heinrichs „Versuch über die Schwierigkeit, ‚nein‘ zu sagen“ (1981), ein Philosoph der „immanenten Kritik“. Zusammenfassend hält Küchenhoff hält zu Heinrich fest, „es gibt – sei es nun in der Therapie, sei es in den politischen Verhältnissen – eine Flucht vor der Drohung des Nichtsprechenkönnens in eine beredte Sprachlosigkeit. Dann flüchtet man sich in genau das, wovor man flieht. Das aber ist selbstzerstörerisch“ (116-117).

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Miriam Vogel
Dr. phil.
Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Fachpsychologin für Klinische Psychologie und Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie
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Konkret heisst das, ich kann „mich gegen die Entfremdung, die ich in der Warengesellschaft des Kapitalismus erlebe und die mich dazu auffordert, ständig zu kaufen, ständig etwas Neues zu erwerben, immer zu geniessen, wehren, indem ich mich durch ein Mehr desselben, durch mehr Konsum, betäube, was notwendig misslingen muss. Ich kann aber auch Askese üben“, aber „Das sich Vollstopfen dort und das sich Entleeren hier (...) sind beides nur Versuche des enttäuschten Selbst, sich vor Enttäuschung zu bewahren. Wenn Selbstzerstörung aufgehalten werden soll, dann gilt es zu erkennen, dass der, der sich selbst zerstört, sowohl Täter wie auch Opfer ist“ (Heinrichs, 1981, 45).

Laut Heinrichs (147) gehen alle Bewegungen der Selbstzerstörung von einem Sog aus und bezeichnet es als die „Lust des Süchtigen“ an der „Abgrundseite des Seins“. Bezugnehmend auf Freud hält Küchenhoff zur Sucht fest, „In der Sucht wird alles wiederholt, um durch die Befriedigung hindurch schliesslich zu einem Nichts zu gelangen, das mit einer endgültigen Ruhe verbunden ist, dabei aber unweigerlich zum Tode führt“ (119). Als Psychoanalytiker ist Küchenhoff jedoch überzeugt, dass „im Durchgang durch ein Verstehen (von ...) Leiden als ein „Nein“, (dies) in ein produktives „Nein“ übersetzbar wird in eine Form des Pro-Tests, einem Be-Zeugen (Wortschöpfungen der Autorin). Damit kann nicht nur das neurotische Elend sondern auch das allgemeine Unglück wahrgenommen, in Sprache gesetzt und dem Denken zugeführt werden. „Übersetzungsarbeit muss genau diesen Protest herausarbeiten“ (Küchenhoff, 120), damit wir „die Katastrophe anerkennen“ (Küchenhoff Kap. 3, 120-121) können gegen „die Drachen der Untätigkeit“ (Van Bronswijk et al 2011).  

Küchenhoff analysiert die Vielfalt der Kampfstrategien von Wissenschaftlern und Akteuren gegen den Klimawandel und fragt: „Was kann die Psychoanalyse noch hinzufügen?“ (124). Küchenhoff hat angesichts der drohenden Lebens- und Selbstvernichtung in der „Todesspirale der Verleugnung“ unserer Selbstzerstörung (123) eine unbewusste psychische Konfliktdynamik entdeckt – den Dinosaurierkomplex:

Durch menschliche Wundertechnik sind die ausgestorbenen Dinosaurier des Erdmittelalters in der verfilmten Fantasy-Geschichte „Jurassic Park“ mittels DNA-Reaktivierung weltweit in unseren Fantasien wieder auferstanden. Die Dinosaurier-Auferstehungsfadass ntasie ist ein Spiegelbild unserer angstvollen psychischen Wunschwelt, die vom Aussterben bedrohte Menschheit der Erdneuzeit mittels Wundertechnik nicht tot zu kriegen ist. Diese Rettungsfantasie ist wie ein zeitgemässer „deus ex machina“ aus der Zeit der Dramaturgie in der griechischen Antike. Sie ist eine kollektive Omnipotenzphantasie zum ewigen Leben mit der Beseitigung des Todes.

Im Begriff „Anthropozän“, der erst in der Zeit der Klimakrise entstanden ist, wird die die Menschheitsepoche bereits mit ihrem vorgedachten Ende benannt. Der Begriff „Anthropozän“ verweist auf eine rational verleugnete Form weltumspannender Angst um das jetzige Leben. Diese psychisch abgewehrte, unbewusste Angst steht uns aber für Verantwortung übernehmenden Problemlösungen nicht zur Verfügung.

Küchenhoff fasst zusammen: „Der Dinosaurierkomplex umfasst Untergang ebenso wie Auferstehung. Damit spiegelt er aber vor, dass wir dem Tod entgehen können, also auch dem Tod der Menschheit“ (128) währenddem wir uns und die Welt vernichten. Der Klimawandel „als eine Form der Selbstzerstörung ..., die in sich einen Sog entfaltet, dem zu entgehen schwierig ist“ (130), wie in den selbstschädigenden und selbstvernichtenden Erkrankungen der Unlust verleugnenden Sucht. 

Die Suizidforschung (Campell et al, 2017, Weintrobe 2022) zeigt ein Paradox auf – in der Selbsttötung wird die Realität des Todes verleugnet. Die Umweltzerstörung und Klimakrise als Selbstzerstörung bedeutet jedoch Zerstörung der nächsten Generation. Der psychische Zustand dazu wird als „absoluter Narzissmus“ (Blumenberg 1986) beschrieben, wie beispielsweise im Denken Hitlers „Wenn das dritte Reich zugrunde geht, dann kann die ganze Welt gleich mit untergehen“ (129). 

Doch unsere aktuelle Selbstzerstörung ist eine „universale Gefahr“ – sie fordert eine „universale Antwort“ (Heinrich, 1981, 155). Küchenhoff fordert uns auf, dorthin zu schauen, wo wir uns als Täter – ähnlich dem König Ödipus in der griechischen Sage und im Ödipuskomplex in der Psychoanalyse – schuldig machen in der Vernichtung unserer Lebensspender. Indem wir uns festhalten an einem immer heftiger und sich weiter zuspitzenden, gnadenlos ausbeutenden Wirtschaftssystems, in dem der Individualismus jede Form von Solidarität gefährdet. Denn der Klimawandel macht die globalen Ungerechtigkeiten sichtbar, die unsere Welt beherrschen (Orange 2017). Hierzu braucht es unser aller „nein“. 

Und um „dazu einen Beitrag zu leisten ist psychoanalytisches Denken unabdingbar“ (131, Schlusswort von Küchenhoff). 

Joachim Küchenhoff

Joachim Küchenhoff, Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker (DPV, SGPsa, IPA) in freier Praxis in Binningen/Basel, war Direktor der Erwachsenenpsychiatrie Basel-Land und ist emeritierter Professor der Universität Basel und Gastprofessor der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin (IPU). 

Joachim Küchenhoffs Arbeitsschwerpunkte sind die Behandlung schwerer seelischer Störungen, Möglichkeiten und Grenzen psychischer Repräsentation, Köpererleben und Psychosomatik, sowie interdisziplinäre Forschung in Kulturwissenschaften, Literaturwissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse. 
 

Litteratur

Bauriedl-Schmidt, Ch., Fellner, M., Hörtner, K, & Schelhas, I. (2023). Jahrbuch für klinische und interdisziplinäre Psychoanalyse. Band 1. Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel.

Blumenberg, H. (1986). Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 

Campbell, D., & Hale, R. (2017). Working in the Dark. Understanding the presuicide state fo mind. London: Routledge.  

Dohm, L., Peter, F., & van Bronswijk, K (2011). Climate Action – Psychologie der Klimakrise. Giessen: Psychosozial .

Heinrich, K. (1981). Versuch über die Schwierigkeit, nein zu sagen. Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern.

Küchenhoff, J. (2023). Klimawandel: Psychoanalytischer Versuch über die Schwierigkeit, „nein“ zu sagen zur Zerstörung der Zukunft unserer Kinder. Jahrbuch für Klinische und Interdisziplinäre Psychoanalyse, Bd 1, 115-132. 

Küchenhoff, J. (2022). Vom Dinglichen und vom Grundsätzlichen. Psychoanalytische Gedanken zu existenziellen, gesellschaftspolitischen und erkenntnistheoretischen Fragen. Giessen: Psychosozial.

Orange, D. (2017). Climate Crisis, psychoanalysis and radical ethics. London: Routledge. 

Van Bronswijk, K., Komm, J., & Zobel I. (2011). Die Evolution der Drachen der Untätigkeit. In: Dohm L., Peter F., & van Bronswijk K. (Hrsg), Climate Action – Psychologie der Klimakrise, 105-140. Giessen: Psychosozial,

Weintrobe, S. (2022). Aufklärung im Angesicht der Katastrophe – Liebe und ihr Überleben in unerträglichen Zeiten. Vortrag Frankfurt a.M, 7.5.2022 
 

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