Psychoscope-Blog – Freizeitunterbrechungen durch Arbeitsanliegen

Sibylle Galliker
Forschung
Psychoscope-Blog
Verband
Unnötige und unzumutbare Freizeitunterbrechungen durch Arbeitsanliegen: Geschlechtsabhängige Auswirkungen auf Work-Privacy-Konflikte.

Arbeitszeitflexibilisierung und ortsungebundenes mobiles Arbeiten kann Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischen. Arbeitsbezogene Unterbrechungen des Privatlebens sind keine Seltenheit mehr. 

Unterbrechungen durch die Arbeit in der Freizeit können belastend sein. Warum der dadurch erlebte Stress allerdings nicht universell ist, untersuchten Angela Grotto vom Manhatten College New York und Maura Mills von der University of Alabama. Sie analysierten tägliche Unterbrechungsereignisse (über 5 Tage protokollierten 182 Erwerbstätige 432 Unterbrechungen).

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Sibylle Galliker
Arbeits- und Organisationspsychologin
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Illegitime Unterbrechungen durch die Arbeit in der Freizeit sind vermeidbar, unnötig oder unangemessen und sind mit einem Erleben von Respektlosigkeit verbunden

Nach der Stress-as-Offence-to-Self-Theorie (SOS) sind illegitime Unterbrechungen vermeidbare, unnötige oder unangemessen-unzumutbare Unterbrechungen. Sie sind mit einer Komponente von Respektlosigkeit verbunden und stellen dadurch eine Bedrohung für das Selbst dar, welche nebst der Unterbrechung selbst zusätzlich als belastend wirken kann. Zum Beispiel kann eine Unterbrechung durch eine Nachricht des/der Vorgesetzten an einem Sonntagabend stressreich sein, aber besonders belastend ist es, wenn der Nachrichtenempfänger der Meinung ist, dass damit gut bis Montagmorgen hätte gewartet werden können. 
 

Ausschlaggebend dafür, dass eine Unterbrechung als illegitim eingestuft wird, ist das Ausmass, in dem der Empfänger einen Verstoss gegen eine soziale Norm erlebt. Diese Einschätzung der Illegitimität kann auf eine (oder mehrere) Ursachen zurückzuführen sein. Erstens kann eine Unterbrechung als unzulässig bewertet werden, wenn das Verhalten der Unterbrechenden unangemessen ist (d. h. er/sie hätte sich anders verhalten können/sollen). Zweitens können Unterbrechungen als illegitim angesehen werden, wenn sie vermeidbar sind (d. h. sie hätten verhindert werden können/sollen). Drittens kann eine Unterbrechung als unrechtmässig empfunden werden, wenn sie eine Aufgabe beinhaltet, die als unnötig betrachtet wird oder als unangemessen angesehen wird, wenn sie ausserhalb der Arbeitszeit erledigt werden muss. Das gemeinsame Merkmal unangemessener, vermeidbarer, unnötiger und unzumutbarer Unterbrechungen durch die Arbeit in der Freizeit ist die zugeschriebene Unzulässigkeit und das damit verbundene Signal der Missachtung des Privatlebens der Betroffenen. Der Unterton von Respektlosigkeit, den illegitime Unterbrechungen durch die Arbeit verkörpern, kann zu zusätzlichen Work-Privacy-Konflikten führen, die die Belastung durch die Unterbrechung verstärken, so die Annahme von Grotto und Mills. 

Das mehrstufige moderierten Mediationsmodell der amerikanischen Wissenschaftlerinnen konnte bestätigt werden: Subjektiv zugeschriebene Illegitimität führt zu einer zusätzlichen, negativen Belastung durch Work-Privacy-Konflikte via Verletzung der Grenze von Arbeit und Privatleben.

Der unterschiedliche Wert, der beruflichen und privaten Rollen beigemessen wird, beeinflusst wahrscheinlich die Zuschreibung von Illegitimität

Männer erlebten eher Verletzungen der Grenze zwischen Arbeit und Privatleben als Reaktion auf derartige illegitime Unterbrechungen in der Freizeit und berichteten in der Folge mehr Work-Privacy-Konflikte als Frauen. 

Frauen pflegen in der Regel durchlässigere Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben und neigen dazu, Arbeit und Freizeit weniger zu trennen. Das könnte ein Grund sein, warum die Reaktionen von Frauen auf illegitime Unterbrechungen gemässigter ausfallen. Verwandte Forschungsarbeiten im Arbeitskontext stützen die Annahme, dass Frauen illegitime Unterbrechungen möglicherweise eher akzeptieren, da sie stärker an Unterbrechungen gewöhnt sind. Frauen werden bei der Arbeit häufiger als Männer unterbrochen, sie werden für Arbeitsaufgaben herangezogen, die nicht zu ihren Kernaufgaben gehören und sie haben tatsächlich auch mehr Schwierigkeiten, derartige Anfragen abzulehnen.  
 

Anstatt Unterbrechungen durch die Arbeit in der Freizeit als unausweichlichen Stressfaktor im täglichen Leben zu akzeptieren, lohnt es sich, Unterbrechungen auf legitime d. h. auf unvermeidbare und unbedingt notwendige Unterbrechungen, zu beschränken.

Obwohl die Ergebnisse darauf hindeuten, dass illegitime Arbeitsunterbrechungen für Männer eine stärkere unmittelbare Bedrohung darstellen, könnte es aber auch für Frauen längerfristig nachteilig sein, wenn sie illegitimen Unterbrechungen eher tolerieren und mehr Zeit und Energie für eher unnötige Arbeiten nach Feierabend aufwenden. So wird die notwendige Erholung und in der Folge Energie und Zeit für laufbahnrelevante Tätigkeiten eingeschränkt. 

Durch gute Planung und Arbeitsorganisation sowie achtsame und klare Kommunikation können illegitime Unterbrechungen in der Freizeit (wie auch bei der Arbeit) vermieden werden

Anstatt Unterbrechungen durch die Arbeit in der Freizeit als unausweichlichen Stressfaktor im täglichen Leben zu akzeptieren, lohnt es sich, Unterbrechungen auf legitime d. h. auf unvermeidbare und unbedingt notwendige Unterbrechungen, zu beschränken. Unternehmen sollten ihre Mitarbeitenden für dieses Thema sensibilisieren und ermutigen gegenseitig zu kommunizieren, wann potenzielle Unterbrechungen "eine Grenze überschreiten". 

Zudem bewirken auch gute Arbeitsorganisation und Planung, dass Unterbrechungen in der Freizeit (wie auch während der Arbeitszeit) wesentlich reduziert werden können.  
 

Studie

Grotto, A. R., & Mills, M. J. (2023). Crossing the Line: The Violating Effects of Illegitimate Interruptions from Work and the Differential Impact on Work‐Family Conflict by Gender. Journal of Organizational Behavior, 1-17. doi: 10.1002/job.2689

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