Psychoscope-Blog – Prävention statt Repression

Françoise Genillod-Villard
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In Neuenburg bietet das neue Präventionsprogramm «WarningMeth» eine Alternative zur reinen Repression.

Das Programm «WarningMeth» wurde ab dem 1. Januar 2017 vom Kanton Neuenburg entwickelt, nachdem dort ein beunruhigend hoher Methamphetaminkonsum beobachtet worden war. 

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Françoise Genillod-Villard
Fachpsychologin für Rechtspsychologie FSP
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Methamphetamine sind aus Pseudoephedrin synthetisierte Psychostimulanzien, die je nach Dosis, Toleranz und Konsumart sehr lange wirken können. Die anregenden Effekte ähneln dabei denen von Amphetaminen, wobei Methamphetamine intensiver und länger wirken. Es gibt auch zahlreiche negative Wirkungen: Schlaflosigkeit, Muskelzuckungen, Zähneknirschen, in einigen Fällen Fieber und Dehydration, grosse Ängstlichkeit bis hin zu wiederkehrenden Panikattacken, übermässige Unruhe und mangelnde Koordination des Bewegungsapparats, Hautausschläge, Akne, Störungen des Menstruationszyklus, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Niereninsuffizienz, Krämpfe, psychiatrische Störungen und suizidale Impulse. Der typische Konsument ist männlich, zwischen 20 und 35 Jahre alt, Polykonsument, Schweizer Staatsangehöriger und häufig nicht in den Behandlungseinrichtungen präsent.

Innovative Präventionsmassnahmen

Das Programm «WarningMeth» ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Suchthilfestiftung Addiction Neuchâtel. Ziel des Programms ist die Prävention bei den Konsumenten, denn durch die rechtlichen Mittel wird nur schwacher Druck ausgeübt: Von der Polizei erwischte Konsumenten riskieren lediglich eine Busse. Das Programm besteht aus den folgenden Bestandteilen:  Wenn die Polizei zum ersten oder zweiten Mal die Personendaten eines Konsumenten aufnimmt, wird dieser vor die Wahl gestellt: Entweder wird der Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet oder an die Suchthilfestiftung Addiction Neuchâtel, wo während etwa sechs Wochen ein Informationsprogramm bestehend aus vier Sitzungen zu absolvieren ist. Bei diesen Sitzungen wird ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ansatz angewendet, bei dem die Betroffenen über die konsumierte Droge und deren Bedeutung in ihrem Leben informiert und dabei unterstützt werden, die eigenen Verhaltensweisen zu verstehen. Wer an allen vier Sitzungen teilnimmt, wird nicht weiter strafrechtlich verfolgt. Der Fall wird dann nur noch in den Akten behalten, damit die Polizei bei Rückfällen weiss, dass das Programm bereits empfohlen und durchlaufen wurde.  Im Anschluss an die vier Sitzungen können die Betroffenen die Behandlung auf freiwilliger Basis fortsetzen. Es gibt ein Monitoring, in dessen Rahmen durch einen Anruf nach sechs Monaten die Auswirkungen des Programms gemessen werden.

Die Ergebnisse des Autors zeigen, dass ein Drittel der Betroffenen den Wunsch äussert, auf freiwilliger Basis eine längere Psychotherapie zu beginnen. Etwa 10 Prozent waren minderjährig, 25 Prozent waren zwischen 18 und 25 Jahren alt, und etwa die Hälfte waren zwischen 26 und 35 Jahre alt. Von den 75 Prozent der Betroffenen, die an allen vier Sitzungen teilnahmen, hatten 79 Prozent in den beiden Wochen vor der vierten Sitzung und 71 Prozent in den beiden Wochen vor dem Telefongespräch nach sechs Monaten keine Methamphetamine mehr konsumiert. Eine Rückfallstatistik gibt es allerdings nicht.

Der Konsum lässt sich mit diesem Programm zwar natürlich nicht ausrotten, aber der Vorteil ist, dass Behandlungs- und Zwangsmassnahmen kombiniert und dabei die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt werden. Die präventive Wirkung lässt sich in dem Sinne belegen, dass mehr Nachverfolgungswünsche geäussert wurden und die oben erwähnten Ergebnisse ermutigend bleiben. Auch könnte dieser Versuch auf weitere Drogen und Kantone ausgedehnt werden, in denen der Wunsch besteht, sich eines Problems des öffentlichen Gesundheitswesens auf innovative Weise anzunehmen.
 

Studie

Aubert, P. (2019). De l’égout à l’écoute : la politique de prévention neuchâteloise en matière de méthamphétamine. In B.-F. Brägger, S. Keller & J. Vuille (Dir.), La Réhabilitation dans la société du risque zéro: Actes du colloque du Groupe Suisse de criminologie tenu les 4, 5 et 6 mars 2019 à Interlaken, 249-261. Bern: Stämpfli Verlag.

Kommentare

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Corinne Walliser

Corinne Walliser

29/05/2020

Diese Zusammenarbeit ist sehr zu begrüssen. Gratuliere. Hoffen wir, dass die anderen Kantone nachziehen.

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