Psychoscope-Blog – Überstunden im Kopf

Sibylle Galliker
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Wie hängen arbeitsbezogene Gedanken während der Freizeit mit Wohlbefinden zusammen?

Zahlreiche Forschungsergebnisse aus der Arbeitspsychologie deuten darauf hin, dass es gesundheitsförderlich ist, in der arbeitsfreien Zeit gedanklich von der Arbeit «abzuschalten». Verschiedene Ansätze der Stressforschung gehen davon aus, dass arbeitsbezogene Gedanken in der Freizeit die affektive und physiologische Aktivierung aufrechterhalten und damit langfristig zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit beitragen. 

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Sibylle Galliker
Arbeits- und Organisationspsychologin
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Das Konzept der psychologischen Loslösung (Detachment), das auch als «in der Freizeit nicht über die Arbeit nachdenken» beschrieben wird, wurde in den letzten zwei Jahrzehnten ausgiebig untersucht. Durch die Verbreitung des Arbeitens im Homeoffice rückt es - im Zusammenhang mit der damit verstärkten Entgrenzung von Arbeit und Privatleben - erneut in den Fokus. 

Arbeitsbezogene Gedanken in der Freizeit können auch positive Wirkung zeigen
Das Nachdenken über die Arbeit in der arbeitsfreien Zeit muss nicht zwingend negativ mit dem Wohlbefinden zusammenhängen. Es kommt demnach auf die Art des arbeitsbezogenen Nachdenkens an. Neben Detachment werden zwei Arten von «Grübeln» (Rumination) unterschieden: Affektives Grübeln bezieht sich auf durchdringende, wiederkehrende negative Gedanken über die Arbeit. Im Gegensatz dazu ist problemlösendes Grübeln - ein Nachdenken über Verbesserungen der eigenen Leistung oder Lösungen arbeitsbezogener Probleme - weniger intrusiv und kann sogar Spass machen. Es gibt empirische Belege dafür, dass affektives Grübeln und problemlösendes Grübeln in unterschiedlichem Zusammenhang mit der Gesundheit und der Arbeitsleistung von Erwerbstätigen stehen. Beispielsweise zeigten sich positive Zusammenhänge von affektivem Grübeln mit depressiven Symptomen, Schlafstörungen und der Wahl ungesunder Nahrungsmittel. Problemlösendes Grübeln wirkte sich hingegen eher positiv auf die Schlafqualität aus und war nicht mit depressiven Symptomen und dem Essverhalten assoziiert. Affektives Grübeln beeinträchtigte die Kreativität nicht, während häufigeres problemlösendes Grübeln ein höheres Kreativitätsniveau ein halbes Jahr später vorhersagte. 
 

Darüber hinaus interessant ist die positive Arbeitsreflexion. Positive Arbeitsreflexion umfasst das Nachdenken über die guten Seiten der eigenen Arbeit und umfasst beispielsweise auch Erinnerungen an vergangene Erfolge. Positive Arbeitsreflexion wird als eine Möglichkeit gesehen, in der arbeitsfreien Zeit belastende Arbeitssituationen neu zu bewerten. Während affektives Grübeln und mangelnde psychologische Distanz als ressourcenverzehrende Erfahrungen angesehen werden, wird die positive Arbeitsreflexion als ressourcenvermehrend gewertet. So gingen häufigere positive Arbeitsreflexion am Wochenende oder in den Ferien mit geringerer Erschöpfung und geringerer depressiver sowie wütender Stimmung einher und es zeigte sich auch ein verstärktes Lernstreben (d. h. die Suche nach Lernmöglichkeiten) sowie eine gesteigerte Heiterkeit. Positive Arbeitsreflexion während des Wochenendes sagte zudem auch mehr Eigeninitiative und Kreativität in der Arbeit voraus. 

Vom affektiven Grübeln abgegrenzt wird eine negative Arbeitsreflexion, d. h. das Nachdenken über die schlechten Seiten der Arbeit. Während das affektive Grübeln vor allem mit negativen Gefühlen eingeht, die durch arbeitsbezogene Gedanken ausgelöst werden, geht es bei der negativen Arbeitsreflexion eher um kognitive Aspekte wie etwa Bewertungen und Zielsetzungen. 

In einer Fragebogenstudie von Oliver Weigelt von der Universität Rostock und Kolleginnen der Universität Hagen und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wurden diese fünf Konzepte und Ihre Zusammenhänge mit Wohlbefinden untersucht. 
Es wurden Strukturgleichungsmodellierungstechniken auf Querschnittsdaten von 474 Erwerbstätigen angewendet. Die Ergebnisse liefern bestätigende Belege für fünf korrelierte, aber unterschiedliche Facetten des arbeitsbezogenen Nachdenkens in der Freizeit. Untersucht wurden Zusammenhänge mit Burnout, Arbeitsengagement und Thriving (Erfahrung von Vitalität und Lernen) als Aspekte des arbeitsbezogenen Wohlbefindens sowie Lebenszufriedenheit und Flourishing (Erleben von Lebenssinn, Bedeutung, Selbstakzeptanz und ein Gefühl von Kompetenz) als Aspekte des allgemeinen, kontextfreien Wohlbefindens.

Detachment hängt stark mit kontextunabhängigem Wohlbefinden zusammen, affektives Grübeln sagt insbesondere Burnout vorher; problemlösendes Grübeln und positive Arbeitsreflexion sind stark mit Arbeitsengagement assoziiert.

Jede Facette des arbeitsbezogenen Nachdenkens in der Freizeit weist ein einzigartiges Assoziationsmuster mit den acht untersuchten Aspekten des Wohlbefindens auf:  Detachment erklärt eigenständige Varianz in fast allen betrachteten Facetten des Wohlbefindens. Es ist der stärkste Prädiktor für Flourishing und Lebenszufriedenheit. Im Gegensatz dazu erklärt Detachment nur einen kleinen Teil der inkrementellen Varianz von Burnout. Affektives Grübeln hingegen leistet insbesondere bei Burnout eine eigenständige Vorhersage. Das problemlösende Grübeln sowie die positive Arbeitsreflexion sind prädiktiv für alle in dieser Studie betrachteten (positiv konnotierten) Facetten des Wohlbefindens und Arbeitsengagement, tragen aber nicht zur Vorhersage des Burnout bei. 

Positive und problemlösende Gedanken über die Arbeit in der Freizeit können das Wohlbefinden steigern
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Interventionen zur Verringerung von Burnout vor allem auf die Verringerung negativer Aspekte des arbeitsbezogenen Grübelns (d. h. affektives Grübeln und negative Arbeitsreflexion) abzielen sollten. Zur Erhöhung von Lebenszufriedenheit kann «Abschalten» einen Beitrag leisten. Positive und problemlösende Denkweisen über die Arbeit können allerdings durchaus das Wohlbefinden steigern. Wer nicht gut von der Arbeit «abzuschalten» vermag, könnte üben, die arbeitsbezogenen Gedanken verstärkt problemlösungsorientiert und positiver auszurichten. 

Studie

Weigelt, O., Gierer, P., & Syrek, C. J. (2019). My mind is working overtime—towards an integrative perspective of psychological detachment, work-related rumination, and work reflection. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16, 2987. 

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