Psychoscope-Blog – Wenn sich Verbrechen auszahlen
Die Vorteile krimineller Aktivitäten wurden bereits in verschiedenen kriminologischen Forschungsstudien nachgewiesen: Sicherung der Versorgung, Erzielung schneller Gewinne, Anerkennung unter Gleichgesinnten, Gruppenzugehörigkeit und Sonderstatus sind einige Beispiele dafür. Der Psychologe Peter Letkemann schrieb 1973 über einen Einbruch: «genauer gesagt müssen drei Arten von Fähigkeiten erlernt werden [...]: die mechanischen (Werkzeuge und Verfahren), die organisatorischen (Planung und Ausführung) und die sozialen (Kontrolle der jeweiligen Konflikte und Umgang mit den Opfern).» Diese Kompetenzen fallen sowohl in den Bereich des Wissens als auch in den der zwischenmenschlichen Fähigkeiten.
Für Personen mit Vorstrafe sind die Wiedereingliederung und die Arbeitssuche schwierige Phasen. Da die Betroffenen weder Diplom noch Berufserfahrung vorweisen können, müssen sie häufig Tätigkeiten ausüben, für die keine Qualifikation gefordert ist und die schlecht bezahlt sind. Hinzu kommt, dass die Vorstrafe den Zugang zu manchen Arbeitsplätzen verhindert. Und auch, was das Umfeld denkt, kann belastend sein. Je schwieriger diese Hindernisse zu überwinden sind, desto stärker entsteht daher der Eindruck, die Rückkehr zur kriminellen Aktivität könne vorteilhaft sein.

Die Studie zeigt aber auch, dass manche der bei kriminellen Aktivitäten erlernten Fähigkeiten auch im Bereich der legalen Arbeitswelt von Nutzen sein können – ob es uns nun gefällt oder nicht. Bei der Studie wurde gezielt nach solchen Fähigkeiten gesucht. Hierfür arbeiteten die Forscherinnen und Forscher mit fünf Männern im Alter von 21 bis 40 Jahren, die Drogendelikte begangen hatten. Zwischen Dezember 2016 und März 2017 wurden semidirektive Gespräche mit diesen Testpersonen geführt. Sie bestanden aus fünf Teilen: soziodemografische Daten, Beschreibung und Bestimmung der Massnahmen zur Arbeitssuche, Beschreibung und Bestimmung der Delikte sowie der dabei erworbenen Fähigkeiten, Suche nach den bei dem Delikt angewandten und bei der Arbeitssuche nützlichen Fähigkeiten und schliesslich Abschluss des Gesprächs.
Es zeigte sich dabei, dass sich bestimmte Fähigkeiten bei der Arbeitssuche als Ressource erweisen können. Die Gespräche ergaben, dass bei Drogenkriminalität die folgenden Kompetenzen erworben wurden: Entwicklung und Pflege eines Netzwerks, Begleitung und Ausbildung von Mitarbeitern, Koordinierung und Lenkung von Aktivitäten (Wareneingang, Warenprüfung). Weiterhin erwähnt wurden die Beachtung der Hierarchie und des Kompetenzbereichs jedes Beteiligten, Analyse und schnellstmögliche Reaktion auf eine gegebene Situation, Entwicklung von Selbstbewusstsein, um den Kunden von der Produktqualität überzeugen zu können. Darüber hinaus wurde die Fähigkeit genannt, die Verhandlungen mit den Lieferanten führen zu können. Was Stress und Risiken betrifft, so treten diese im kriminellen Milieu täglich auf, und die Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten ist äussert wichtig.
Und genau diese Fähigkeiten, also Antizipation, Organisation, Nachverfolgung, Koordinierung, Netzwerkverwaltung, Krisenmanagement, Stressbewältigung und Anpassung an Veränderungen sind in der Arbeitswelt stark gesucht und/oder werden gefördert.
Ohne die begangenen Delikte gutheissen zu wollen und unabhängig von dem stigmatisierenden Kontext, in dem diese Fähigkeiten erworben wurden, wäre eine einlässlichere Untersuchung in der Praxis interessant – es handelt sich um Kompetenzen, die für die Betroffenen bei der Arbeitssuche Ressourcen zum Ausgleich der Nachteile sind (Vorstrafen, fehlende Ausbildung und Erfahrung etc.).
Die Studie weist aufgrund der Stichprobengrösse eine nur begrenzte Aussagekraft auf. Es wäre interessant, sie auf Personen auszuweiten, die andere Straftaten als Drogendelikte begangen haben. Auch die Ausweitung auf Frauen wäre interessant.
Studie
Pariseau, M.-M., & Supeno, E. (2019). Lorsque le crime rapporte: les apprentissages réalisés dans des activités criminelles mobilisés dans le processus d’insertion professionnelle. Criminologie, 52 (2), 239-266. https://doi.org/10.7202/1065863ar
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