Therapie in der Stille

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In der Praxis von Corinne Béran herrscht Ruhe. Die FSP-Psychologin kommuniziert mit ihren Patient(inn)en ohne Worte. Stattdessen bedient sie sich lebhafter Mimik und Gestik.

"Um hineinzugelangen, betätigen Sie die Klingel. Sobald das kleine grüne Licht zu blinken anfängt, können Sie die Tür aufstossen. Nehmen Sie anschliessend den Aufzug in die zweite Etage." Diese Anweisung erscheint banal und unbedeutend. Doch Corinne Béran wiederholt diese Worte immer wieder, um den Weg zu ihrer Praxis im Herzen Lausannes, in der Nähe des Place Saint-Laurent, zu beschreiben. Und zwar aus einem einfachen und einleuchtenden Grund: Die meisten ihrer Patient(inn)en sind gehörlos. Sie kommen zwar grösstenteils trotz ihrer Behinderung sehr gut zurecht; doch gerade solch alltägliche Dinge bereiten ihnen manchmal Probleme. Will man das Leben der Betroffenen vereinfachen, kommt es auf die einfachen Gesten an. Diese beginnen mit der Terminabsprache, die per SMS erfolgt. "Obwohl nicht alle Gehörlosen schreiben können, ist dies die beste Art Kommunikation in diesem Fall", sagt Corinne Béran. Die FSP-Psychologin musste erst lernen, die Textnachrichten ihrer Patient(inn)en zu entschlüsseln. Spontan greift sie zum Mobiltelefon, um ein Beispiel zu geben: "Guten Tag, tut wirklich leid. Habs vergessen. Bin diese Woche Berlin. Geht nicht so. Streit zuhause."

Corinne Béran führt die meisten Beratungsgespräche in der französischen Gebärdensprache, die sie neben ihrem Psychologiestudium erlernte. "Diese Sprache ist aufregend, schön und faszinierend. Es ist spannend, auf eine andere Art kommunizieren zu lernen und sich dabei mit Gestik ins Gespräch einzubringen. Neben den Händen kommen auch der Mimik und der Körpersprache eine wichtige Rolle zu." Nach ihrem Studium bekam Corinne Béran die Chance, beim Centre Jeunes Sourds zu arbeiten, dem heutigen Service romand Itinérant en Surdité (SIS). Dort kommunizierte sie täglich mittels Gebärdensprache und ihr wurde bewusst, was es bedeutet, nicht hören zu können. "Ich lernte Fachkräfte kennen, die in der Gehörlosenarbeit tätig sind und konnte zudem eine Ausbildung in diesem Bereich absolvieren." Dank diesem Fortbildungskurs konnte Corinne Béran ihr Fachwissen ausbauen, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation mit den Betroffenen. Als sie sich daraufhin selbständig macht, bietet sie in ihrer Praxis psychologische Betreuung für Gehörlose an. Heute betreut sie mehrheitlich erwachsene Patient(inn)en, die über Gebärdensprache kommunizieren.

Gebärdensprache stellt kein Hindernis dar

Kommunikation gilt als wichtigstes Instrument von Fachkräften der psychischen Gesundheit: Wie können also Therapiegespräche ohne Worte funktionieren?

"Man muss sich ein wenig mehr vorbereiten, doch die Sitzungen verlaufen genau gleich wie sonst auch", betont Corinne Béran. "Meine Patient(inn)en kommen zu mir, weil sie einen unmittelbaren Austausch wünschen und weil ich mich mit Gehörlosen, deren Kultur und Schwierigkeiten auskenne."

In der Romandie kann man die Psychologen und Psychologinnen, die in Gebärdensprache praktizieren, an einer Hand abzählen. Zudem ist die Arbeit mit einem Dolmetscher oder einer Dolmetscherin nicht immer zufriedenstellend. "In der Gebärdensprache spielt die Mimik eine wichtige Rolle. Wird jemand herbeigezogen, der dolmetscht, verliere ich als Psychologin den direkten Augenkontakt zu meinen Patienten. Die Dolmetscherin oder der Dolmetscher wird Teil der therapeutischen Beziehung." Dieses Problem ist nicht auf den Bereich der psychischen Gesundheit beschränkt. "Es kostet meine Patient(inn)en Überwindung, überhaupt einen Arzt respektive eine Ärztin aufzusuchen. Ich kann also verstehen, wenn sie die Gespräche lieber unter vier Augen führen möchten."

Die Probleme der gehörlosen Menschen unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen hörender Personen. Es sind die üblichen Herausforderungen:

"Ehekrach ist auch ein Thema bei Gehörlosen", scherzt Corinne Béran. "Im Allgemeinen bemerke ich aber, dass hörbehinderte Menschen häufig nur mit wenigen Gesprächspartnern über ihre innere Welt sprechen können. Viele fühlen sich seit ihrer Kindheit einsam. Und dieses Gefühl, ausgeschlossen zu werden, hält an. Häufig können sie nicht einmal mit allen Familienmitgliedern kommunizieren. Oder ihnen fehlt das Vokabular, um ihre Gefühle in Worte - oder vielmehr Gebärden - zu fassen."

Béran schloss kürzlich eine Ausbildung in personzentrierter Psychotherapie ab. Sie begleitet auch Eltern gehörloser Kinder, die Hilfe benötigen. Andere kommen zu ihr, um sich über Gehörlosigkeit im Allgemeinen zu informieren: deren Auswirkungen im Alltag, während der Schullaufbahn, zur Integration von Betroffenen.

Gibt es besondere Herausforderungen bei ihrer Arbeit?

Corinne Béran betont: Die Gebärdensprache ist kein Stolperstein. "Hindernisse sind für jede Person anders. Keine zwei Menschen empfinden dasselbe." Nach kurzem Nachdenken fällt der Psychologin aber doch eine Situation ein, in der sich die fehlende verbale Kommunikation bemerkbar machte. "Wenn eine hörende Person im Laufe eines Gesprächs anfängt, zu weinen oder sich zu verschliessen, kann ich trotzdem mit ihr reden und die Verbindung aufrechterhalten. Bei einer gehörlosen Person aber unterbricht die Kommunikation. Sie weiss zwar, dass ich da bin. Aber wenn sie mich nicht ansieht, hilft mir auch die Gebärdensprache nicht weiter."

Was der Psychologin grosse Sorgen bereitet, ist der Zugang Gehörloser zu therapeutischer Betreuung. Auch wenn sich einige Verbände dafür einsetzen, fehlt es an geeigneten Angeboten, sowohl im Bereich der psychischen wie auch der physischen Gesundheit. Und die Situation wird wohl nicht besser. "Seit Jahresbeginn wurden die Kriterien für Bundeshilfen verschärft. Viele meiner Patient(inn)en haben ein Anrecht darauf, um ihre Therapie zu finanzieren." Der Zugang der Gehörlosen zu Betreuungsangeboten ist gefährdet. Diese basieren auf einer bestmöglichen Kommunikation sowie auf Kenntnissen über die Welt der Gehörlosen.

Was ist die Alternative? Betroffene könnten eine psychologische oder psychiatrische Praxis aufsuchen, die nicht auf Gehörlose spezialisiert ist und wo die Gebärdensprache nicht praktiziert wird.

"Dies ist nicht hinnehmbar", meint Corinne Béran. Sie ist fest entschlossen, sich für die Sache der Gehörlosen einzusetzen.

Par Aurélie Faesch-Despont, publié dans Psychoscope 2/2015

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